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Dipl.-Ing. Norbert Weimer Unternehmensleitung - Geschäftsbereichsleiter Dichtungsplatten

Keine Angst vor Wasserstoff

Dieser Beitrag behandelt die Abdichtung von Wasserstoff mit Hilfe statischer Flachdichtungen aus Faserstoffen (FA). Wasserstoff als das „Öl der Zukunft", wird für viele Konstrukteure und Praktiker ein neues Medium sein, mit dem sie in ihren Konstruktionen, Anlagenauslegungen, Beschaffungsszenarien und Montagetätigkeiten auch hinsichtlich der Abdichtung von Bauteilen umzugehen haben. Der Artikel soll für dieses Thema sensibilisieren und Informationen geben, um für die Materialauswahl und die Montagesituation die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Statische Dichtungen - Weichstoffdichtungen

Eine der häufigsten Formen der Abdichtung ist die statische Abdichtung. Hierbei bewegen sich die abzudichtenden Bauteile nicht zueinander. Bei diesen Verbindungen kommt es zu er-heblichen Pressungen für das zwischen den Flanschen eingebaute Dichtungsmaterial - die Hochdruckdichtung.
Um abzudichten, muss sich das Dichtungsmaterial anpassungsfähig verhalten und in die Rauheit der Flanschoberfläche wandern sowie deren Welligkeiten ausgleichen. Andererseits dürfen die hohen Kräfte das Material nicht zerstören - ein typischer technischer Kompromiss. Um diesem Kompromiss gerecht zu werden, hat Klinger ein Fertigungsverfahren entwickelt: Das Kalander-Verfahren, bei dem auf ei-ner heißen Walze ein Gemisch aus Fasern und Füllstoffen mit Elastomer als Bindemittel mittels enormen Druckes zu einer Dichtungsplatte verarbeitet wird.
Das Resultat ist eine hochbelastbare Dichtung, belastbar typischer-weise mit über 200 MPa (ca. 2 Tonnen pro cm2) bei Raumtemperatur, die kleinste Poren aufweist und über das Zusammenpressen der Poren und des Elastomers die Anpassung an die Oberflächenrauheit ermöglicht.
Durch das Zusammenpressen, z. B. mittels Schrauben, wird die Oberflächenleckage und die Leckage durch das Dichtungsmaterial verhindert - je höher die Dichtkraft, desto dichter ist die Verbindung.

Dichtheitsanforderungen für die Gasversorgung

Die DIN-DVGW-Baumusterprüfung nach DIN 3535-6 von April 2019 gibt entsprechende Werte vor. Die spezifische Leckagerate muss 0,1 mg/(s x m) sein. Hierbei wird bei FA-Dichtungswerkstoffen von einer Dichtungsdicke von 2,0 mm, einem Innendruck von 40 bar und einer Flächenpressung von 32 MPa ausgegangen. Das Prüfgas ist Stickstoff. Bisher nutzen wir fossile Medien wie Erdgas (Hauptanteil Methan) sowie die Gase Propan und Butan als Standards für unsere Energiever-sorgung. Für diese Gase reichen die Dichtheitsanforderungen aus - aber was ist mit Wasserstoff?

Ist Wasserstoff anders als die üblichen Brenngase?

Wasserstoffgas besitzt eine geringe Dichte und das Atom eine sehr geringe räumliche Ausdehnung. Es ist das kleinste Atom im Periodensystem der Elemente. Es kann also theoretisch besser durch kleinste Kanäle durchwandern als größere Atome. Die Realität sieht aber anders aus, denn Wasserstoff liegt nur bei seiner Erzeugung atomar vor und verbindet sich sofort mit dem nächsten Wasserstoffatom zum Wasserstoffmolekül H2, welches man sich hantelförmig vorstellen kann. Trotzdem sind die bisher üblichen Brenngase Methan CH4 (Hauptbestandteil im Erdgas), Propan C3H8 und Butan C4H,0 alle deutlich größer. In den letzten Jahren wurde die Leckage-messung bei Dichtverbindungen immer mehr von Stickstoff auf Helium (He) als Prüfgas umgestellt. Wir haben also mittlerweile das zweitkleinste Atom im Periodensystem der Elemente als Standardprüfgas und können damit kleinste Leckagen aufspüren. Unsere Gasteilchen sind nicht starr, sondern bewe-gen sich auf Grund der Brownschen Moleku-larbewegung. Wenn wir nun die kinetischen Durchmesser der relevanten Gasteilchen ver-gleichen, sehen wir, dass das Heliumatom und das Wasserstoffmolekül vergleichbare Größen zeigen.
In der Tabelle der kinetischen Duchmesser (www.arnold-chemie.de ) finden wir
Wasserstoff H2 2,3 - 2,9
Helium He 2,6-2,7A
und für Methan CH4 3,8
wobei 1 A = 0,1 nm
Wir sehen also, dass Wasserstoff zwar „kleiner" als Methan, aber in dem gleichen Bereich unseres Prüfgases Helium ist. Auch die bisherigen realen Vergleichsmessungen zeigen, dass es zwar Unterschiede in den Leckagemengen von Wasserstoff und Helium gibt, diese aber in der gleichen Größenordnung liegen. Zur Ergänzung zum Verhalten von Wasserstoff sei noch erwähnt, dass Wasserstoff schneller als Erdgas verbrennt. Deshalb sind in Gasbrennern die Abstände zwischen Bren-nerdüse und Flamme geringer. In der Folge müssen die Technologie der Flammenerkennung sowie die Materialauswahl der Brennerdüse und weitere Parameter angepasst werden. Außerdem hat Wasserstoff im Gegensatz zu anderen Gasen einen negativen Joule¬Thompson Effekt. Dies alles ist aber nicht relevant für die Dichtheit von Verbindungen.

Welche praktischen Erfahrungen liegen vor?

Wasserstoff ist schon seit vielen Jahren ein üblicher Rohstoff in der chemischen Industrie. Laut VCI ist Wasserstoff hier außerordentlich bedeutend und bildet den Ausgangspunkt wichtiger chemischer Wertschöpfungsketten. Schon heute kommen in Deutschland jährlich etwa 12,5 Milliarden Kubikmeter Wasserstoff zum Einsatz (laut vci.de). Auch das früher verwendete Stadtgas hatte ca. 50 % Wasserstoffanteil. Wasserstoff ist chemisch nicht aggressiv und greift die üblichen Faser-, Grafit- und PTFE-Dichtungswerkstoffe nicht an. Dies zeigt, dass wir sehr wohl vertraut damit sind, mit dem Medium umzugehen und die entsprechenden Dichtungsstrategien schon lange erfolgreich umsetzen.

Ein Blick auf das Gefahrenpotential von Wasserstoff

Wie bei allen Brenngasen gibt es auch bei Wasserstoff die Gefahr einer ungewollten Verbrennung in Form einer Explosion. Hier sind die Explosionsgrenzen der verschiedenen Brenngase zu beachten. Die untere Explosionsgrenze (UEG) in Luft beträgt für Wasserstoff 4 Vol.-% und für Methan 4,4 Vol.-%. - also recht ähnlich. Allerdings sind die oberen Explosionsgrenzen mit 77 Vol.-% H2 und 16,5 Vol.-0/0 CH4 recht unterschiedlich.
Innerhalb der CEN/TC 58 - Safety and control devices for Burners and appliances burning gaseous or liquid fuels - gibt es die working group 15, welche sich mit dem Thema Wasserstoff beschäftigt und Informationen für die internationale Normung vorbereitet. Die Präsentation „CEN/TC 58 WG 15 evaluations 2022-04-14" behandelt unter Anderem den Vergleich der Brenngase Methan, Propan und Butan mit Wasserstoff und Wasserstoff-/ Erdgasgemisch 20 % zu 80 % mit Sicht auf Geräte der Gasinstallation. Die Geräte der Gasinstallation, wie Brenner in der Heizung, Apparate und auch Haushaltsgeräte, sind ein großer möglicher Anwendungsbereich für den zukünftigen Wasserstoffeinsatz. Daher hat die Arbeitsgruppe eine Gefahreneinschätzung vorgenommen. Umfangreiche Berechnungen und auch schon erste Messungen wurden durchgeführt, um sich ein Bild machen zu können. Die Gefahr durch Brenngase wird nicht nur von deren Leckageverhalten, sondern auch durch die Zündfähigkeit beeinflusst. Die Arbeitsgruppe hat daher auch solche Einflüsse bewertet und rechnerisch beschrieben. 

Fazit

  1. Wir haben mit unseren bekannten und hochwertigen Dichtungsmaterialien auf Faserbasis aus der Historie positive Erfahrungen mit der sicheren Abdichtung von Wasserstoff.
  2. Unabhängige Leckagemessungen zeigen, dass wir auch bei Wasserstoff in den üblichen Bereichen für Brenngase liegen.
  3. Auch die Betrachtung des Potentials der Explosionsgefährdung zeigt, dass wir uns bei Wasserstoff in einem bekannten Rahmen bewegen, der seit vielen Jahren sicher be-herrscht wird.

Wir können also aus Sicht des Dichtungsherstellers sagen, dass wir vor Wasserstoff als zukünftigem kohlenstofffreiem Energieträger keine Angst haben müssen. Wenn die Kons-truktionen stimmen und der Einbau fachge-recht durchgeführt ist, wird Wasserstoff ein sicherer Weg zur Dekarbonisierung sein. Das Wasserstoffzeitalter kann kommen

Dipl.-Ing. Norbert Weimer,

Unternehmensleitung - Geschäftsbereichsleiter Dichtungsplatten

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